geschrieben am 1. November 2007
„Ich glaube, dass wir in der Medizin ein Problem haben“, meint der Ulmer Placeboforscher Prof. Franz Porzsolt. „Wir erklären die Erfolge, die wir beobachten viel zu einfach. Wir meinen, dass ausschließlich auf Pillen, Bestrahlungen oder Operationen zurückzuführen seien, die wir machen. Ich glaube, dass da noch eine ganz andere Komponente im Spiel ist, die wir vielleicht die Psychische Komponente nennen könnten.“
Bei Schamanen ist es der Glaube an die Fähigkeit des Schamanen, der die Selbstheilungskräfte des Körpers aktiviert. Bei amerikanischen Chirurgen auch, meint der US-amerikanische Orthopäde Bruce Moseley: In einer Studie operierte er die Hälfte seiner Patienten mit Knieproblemen nach allen Regeln der Kunst. Zerstörter Knorpel wurde abgetragen, die Oberfläche sorgfältig mit einer Fräse geglättet, das Gelenk gespült. Die andere Hälfte der Patienten bekam nur zwei kleine Schnitte am Knie.
Auf einem Monitor sahen sie die Bilder aus einer echten Operation. Sie waren der festen Überzeugung, dass wirklich operiert würden. Zwischen der echten und der Scheinoperation gab es keinen Unterschied beim Heilungserfolg, auch zwei Jahre später nicht.
Allein die Heilungserwartung stärkt das Immunsystem. Dieser Effekt ist bei Placebo-Pillen schon länger bekannt. Aussehen und Ritual sind auch hier entscheidend: Weiße Tabletten wirken schlechter als farbige, Kapseln besser als Tabletten. Blau ist die optimale Farbe für ein Beruhigungsmittel, auch wenn gar kein Wirkstoff drin ist. Rot hilft besonders gut gegen Rheuma und Arthritis.
Am wirksamsten ist jedoch die Spritze. Der Gedanke daran setzt nachweislich eine ganze Kaskade physiologischer Prozesse in Gang. Aber Magie steckt nicht nur in den Pillen: Zum Hightech-Schamanismus gehören auch die rituelle Kleiderordnung und magische Gegenstände, die einen Blick in den Körper ermöglichen.
Viele schamanischen Riten haben sich seit Urzeiten kaum verändert. Und das ist kein Zufall: Sie umgarnen die Patienten mit einem Netz aus bedeutungsvollen Handlungen. Vertrauen heißt das Zauberwort. Immer wieder unterschätzt wird die Magie des Gesprächs. Wenn es dem Heiler gelingt, Diagnose und Therapie plausibel zu machen, Vertrauen zu wecken, wird seine Heilkunst umso besser wirken. Natürlich müssen die Patienten auch an die Autorität und Kompetenz des Arztes glauben.
Meint auch Prof. Porzsolt: „Wenn man darüber nachdenkt und mehrere Modelle in der Medizin findet, die etwas ähnliches zeigen, dann wird einem plötzlich klar, dass die Psychologie ein unheimlich mächtiger Faktor in der Medizin ist, dass das Vermitteln von Hoffnung etwas ist, das jeder Patient von uns braucht.“